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chronik:1990

1990

Neugründung

Die intensive Beschäftigung mit der Luftfahrtgeschichte seiner Heimatstadt und der Eindruck der neuen Politik in der damaligen DDR, erweckten in dem heutigen Ehrenvorsitzenden des Bitterfelder VfL, Dr. Jürgen Seifert, die Idee den traditionsreichen Verein an seinem 81. Jahrestag neu zu gründen.

Am 1. Januar, erschien ein entsprechender Aufruf, der alle interessierten Bürger aufforderte, am historischen Jahrestag, dem 18. Februar 1990, an der Neugründung des Bitterfelder Vereins für Luftfahrt teilzunehmen.

Erster Nachkriegsstart

Die Idee aus diesem Anlass in Bitterfeld einen Gasballonstart zu organisieren, fand auch bei verschiedenen Freiballonvereinen der BRD großes Interesse und Entgegenkommen. Klaus Czesny, der Vorsitzende des Ballonclub Berlin, engagierte sich neben Dr. Jürgen Seifert stark in den aufwendigen Vorbereitungen. Für die Initiatoren war es ein langwieriger Weg, alle erforderlichen Genehmigungen zum vorgesehenen Starttermin einzuholen und auch die entsprechenden Vorbereitungen zum Aufrüsten der Ballone zu treffen, waren doch bis dahin keinerlei Voraussetzungen gegeben. Die zuständigen Behörden in der damaligen DDR waren in der Luftraumfreigabe ungeübt und in ihrer Entscheidung auch nicht frei von der Zustimmung der noch stationierten russischen Streitkräfte. Die Hauptverwaltung Zivile Luftfahrt (HVZL) in Berlin Schönefeld hatte jedoch nach mehrfacher persönlicher Vorsprache durch Klaus Czesny dann innerhalb weniger Tage die Genehmigung erteilt, so dass am 17. Februar, dem Vorabend der Neugründung des Vereins, der erste Freiballonstart vom Traditionsort Bitterfeld aus nach über 50 Jahren wieder stattfinden konnte. Als Startgelände diente das Stadion der Chemiearbeiter.

Noch waren Vorbereitungen zum Aufrüsten der beiden angereisten Ballone D-Augsburg und D-Stadt Münster zu treffen. Die Direktion des Chemiekombinates Bitterfeld zog entgegenkommend mit. Ein Wasserstoffanschluss wurde von der benachbarten Rohrbrücke gelegt und feinster Quarzsand von einem Kombinatsbetrieb herangeschafft.

Die Werksfeuerwehr half ab 7 Uhr beim Aufrüsten der Ballone, und die Polizei beobachtete alles aus respektvoller Entfernung. Mit einem erfreulichen Fülldruck aus der Gasometerleitung wurde innerhalb von 30 Minuten jeweils ein Ballon mit Wasserstoff gefüllt! Die telefonische Abgabe des Flugplanes brachte eine Überraschung:

Die Flugsicherung Berlin hatte als nordöstliche Begrenzung die Elbe bestimmt, so dass bei Windgeschwindigkeiten von ca. 25 km/h nur knapp 1,5 Stunden Fahrtzeit blieben. Um 11.45 Uhr startete bei strahlendem Sonnenschein, nach den schweren Unwettern der Vortage, als erster Ballon D-Stadt Münster mit den Piloten Alfons Völker und Gustav Vornbäumen. Weiterhin fuhren im Korb mit: Dr. Jürgen Seifert und Walter Müller. Wenig später erhob sich D-Augsburg in die Luft mit den Piloten Klaus Czesny und Renate Bombik und den Mitfahrern Dr. Roland Wötzel, Peer Wittig und Kristina Tomaschewsky, die beiden letzteren vom neugegründeten Mecklenburg-brandenburgischen Ballonsportverein.

Eine völlig neue und zugleich paradoxe Entwicklung nahm ihren Anfang. Während der staatlich getragene Luftsport der DDR auf seine Auflösung zusteuerte, strebten lautlose Gesellen wieder in den Himmel, der für sie über 40 Jahre strengstens verboten war. Entsprechend groß war die Begeisterung der Luftfahrer und der Zuschauer über die neu gewonnene Freiheit im Luftraum der DDR. In nordöstlicher Richtung entschwebten die Ballone, und nach einer Fahrtzeit von etwas mehr als einer Stunde endeten diese ersten, wenn auch kurzen Ausflüge bei Rehsen bzw. Selbitz in der Nähe von Wittenberg an der Elbe. Das Zeichen zur Wiederbelebung der großen mitteldeutschen Gasballontradition war jedoch damit mehr als erfolgreich gesetzt.

Gründungsversammlung

Am Nachmittag des 18. Februar 1990 erfolgte die Gründungsversammlung des neuen Bitterfelder Vereins für Luftfahrt, zu der auch der Präsident des Deutschen Freiballonsport Verbandes (DFSV), Walter Müller und Vizepräsident Ulrich Hohmann erschienen waren; weiterhin die Vorsitzenden des Ballonclubs der Partnerstadt Marl, Dr. Dieter Apitzsch und Udo Braun, des Ballonclubs Berlin und des Mecklenburg-brandenburgischen Ballonsportvereins, Interessenten aus Bitterfeld und Umgebung, aus Dessau, Halle, Dresden und Chemnitz. Insgesamt trugen sich 45 Personen als Mitglieder ein. Der Initiator, Dr. Jürgen Seifert, gab einen Überblick über die bedeutenden wissenschaftlichen und sportlichen Ballonfahrten, die vordem Krieg von Bitterfeld aus als dem wichtigsten Wasserstoffstartplatz Deutschlands gemacht wurden. Die Gäste aus der Bundesrepublik boten zur Unterstützung beim Aufbau des Vereins ideelle und finanzielle Hilfe an.

Den meisten Vereinsmitgliedern war die praktische Ausübung des Ballonsportes nur schwer vorstellbar. Eine Wiederholung des Aufwandes wie zum Start der beiden Gasballone am Vortage der Vereinsgründung, schien kaum möglich – fehlte es doch an allen Voraussetzungen wie Ballon, Piloten, Startplatz, luftrechtliche Genehmigungen, Kenntnisse u. v. a. m. So stand zunächst die Pflege des Bitterfelder ballongeschichtlichen Erbes im Vordergrund.

Einigen wenigen Aktiven war jedoch bewusst, dass nur das Zukunft hat, was von den Vereinsmitgliedern auch praktisch erlebt wird. So engagierten sich besonders Dr. Bernd Göhrmann und Ralf Hirsch, beide wenig später Mitglieder des erweiterten Vorstandes des BiVfL, besonders in der Aufnahme von Kontakten zu anderen Luftsportvereinen und Ballonfahrern. Zunächst galt es eine Orientierung in dem für alle neuen Feld Ballonfahrt zu gewinnen.

Zeitgleich mit dem Neubeginn des BiVfL verlief der völlige Zusammenbruch der alten GST-Strukturen der DDR-Fliegerei. Hilfe war von dort nicht zu erwarten, zu sehr war man mit sich selbst und der Verteilung von Fluggeräten und Liegenscharten beschäftigt. Ein Beispiel der engagierten Aktivitäten des BiVfL der ersten Stunde gibt die untenstehende Übersicht.

Aktivitäten des BiVfL im Gründungsjahr 1990
im März Teilnahme am 23. Freiballonführertag in Stuttgart (Dr. Seifert), Darstellung der Ziele des BiVfL in der DDR
Teilnahme an der Bezirksdelegiertenkonferenz des neugegründeten Flug- und Fallschirmsport Verbandes der DDR (FFSV) in Halle-Oppin und dem ll. Verbandstag des FFSV in Schönhagen
im April Start von 2 Heißluftballonen der Luftsportgruppe Bayer Leverkusen im Bitterfelder Stadtpark
1. Heißluftballontreffen der DDR in Anklam
Mitgründung der Freiballonkommission Ost
Ende April Besuch der Luftsportgruppe Bayer Leverkusen
im Mai Teilnahme an der feierlichen Vereinsgründung des Chemnitzer Vereins für Luftfahrt und konstituierende Sitzung der Freiballonkommission Ost in Chemnitz
im Juli Sitzung der Freiballonkommission des DFSV in Berlin, Aufnahme der Freiballonkommission Ost in den DFSV
im November Sicherheitskonferenz des DFSV in Reichshof-Eckenhagen, Tagung der FB-Kommission Ost, Antrag des BiVfL auf Mitgliedschaft in den DFSV
im Dezember Teilnahme an der 1. Mitgliederversammlung des Luftsportverbandes Sachsen-Anhalt in Halle-Oppin

Am 16. Juni startete der Gasballon D-Zeppelin von der Ballonsportgruppe Stuttgart e.V. in Bitterfeld. Zugleich sollte es für mehrere Jahre seine letzte Fahrt sein, bis er 1998 durch den BiVfL an gleicher Stätte wieder aktiviert wurde. Pilot war Johannes Fürstner. Die Fahrt, an der auch einige Bitterfelder teilnehmen konnten, führte nach 3:05 Stunden mit einer Zwischenlandung nach Sehlis bei Leipzig. Diese Gasballonfahrt war der Beginn einer bis zum heutigen Tag andauernden engen, freundschaftlichen Zusammenarbeit mit der Ballonsportgruppe Stuttgart e.V.1)

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Dr. Bernd Göhrmann
chronik/1990.txt · Zuletzt geändert: 2024/02/24 11:30 von Volker Löschhorn

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