Der BiVfL hat seit seiner ersten Gründung 1909 bewegte Zeiten erlebt. Über lange Jahre existierte er nur im Gedächtnis Ballonbegeisterter, in seiner Geschichte spiegelt sich die Geschichte des 20. Jahrhunderts wieder. So, wie Ende des 19. Jahrhunderts in Bitterfeld die Chemie zur hiesigen Braunkohle kam, so kam auch Anfang des 20. Jahrhunderts die Ballon- und Luftschiffahrt zum hier produzierten Wasserstoff. Fast gleichzeitig von Dr. Walther Rathenau und den Elektrochemischen Werken sowie der Chemischen Fabrik Griesheim Elektron (CFGE) unter Dr. Ignatz Stroof als Standort für eine Chlor-Alkali-Elektrolyse ausgesucht, wurde Bitterfeld 1892 zu einem bedeutenden Standort elektrochemischer Industrie. Braunkohlenfelder enormer Ausmaße verbunden mit leicht zu erschließendem Grundwasser und einer Vielzahl von Arbeitskräften waren die ausschlaggebenden Standortfaktoren zur Produktion billiger elektrischer Energie. Zusätzlich begünstigte der Eisenbahnknoten Bitterfeld die Verteilung der hier produzierten Güter.
Bei der Produktion von Chlor durch Elektrolyse fiel chemisch reiner Wasserstoff an, der zunächst ungenutzt in die Luft abgelassen, später aber mit Hilfe von Kompressoren in Stahlflaschen abgefüllt wurde.
Dieser Umstand bewog das in Berlin ansässige Luftschifferbataillon, Übungen in Bitterfeld abzuhalten, denn Kompression und Transport verteuerten den Preis des Wasserstoffes. Dies war auch dem Berliner Luftschiffregiment bekannt. Was lag also näher, als sich an den Produktionsort des Gases zu begeben?
Es sei dahingestellt, ob der Krieg der Vater aller Dinge ist, es waren auf jeden Fall die Militärs, die die Ballonfahrt nach Bitterfeld brachten. Die Kenntnis um den billigen Wasserstoff führte sie auch außerhalb ihres Dienstes als Luftsportler nach Bitterfeld. Wasserstoff besitzt höhere Tragkraft als das sonst verwendete Leucht- oder Stadtgas, und erlaubt somit den Ballonen, mehr Ballast mit sich zu führen und dadurch weitere und längere Fahrten zu unternehmen.
Es fällt uns heute schwer, sich die Bedingungen vorzustellen, unter denen vor dem 1. Weltkrieg unsere Altvorderen Ballon fuhren. Keine Luftraumgrenzen, die zu beachten waren. Längst nicht so viele Hochspannungsleitungen wie in der Gegenwart. Und schließlich verursachte dann noch jede Ballonlandung einen mehr oder minder großen Volksauflauf. Ballonfahren war die einzige Art, relativ sicher größere Entfernungen durch die Luft zurückzulegen. Der Motorflug lag in den Anfängen, die Brüder Wright hatten im Dezember 1903 gerade einmal eine Strecke von 255 m in der Luft zurückgelegt. 1905 gelang ihnen ein Flug von 45 Kilometern Länge. Sicher war diese Art der Luftfahrt noch lang nicht. Es waren die Ballonfahrer, die um die Jahrhundertwende den Menschen den uralten Wunsch vom Fliegen ermöglichten. Entsprechend hoch war ihr Ansehen. Und erstaunlich waren die Entfernungen, die sie zurücklegten. Die Mobilität der Gesellschaft zu Kaisers Zeiten war sehr gering. Reisen ins Ausland waren nur wenigen Menschen vorbehalten. Und wenn ein Ballon in Bitterfeld startete und in Bützow landete, dann war er zuvor im Königreich Preußen aufgestiegen und im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin niedergegangen. Es war eine andere Welt. Der Ballonsport war auch nicht von Technik dominiert. Der Barograph und Kompaß, dazu eine gute Uhr, das war die Instrumentenausstattung. Kein Funkgerät, kein Handy, das die Verbindung mit den Rückholern aufrecht hielt. Die waren noch nicht erfunden. Alle drei nicht. Und Autos, nun, so zuverlässig waren sie noch nicht. Nicht umsonst war das erste Gordon-Bennett-Rennen eine Wettfahrt zwischen Autos und Ballonen. Der Ausgang war offen. Der Rückholer war der Rückbringer: die Eisenbahn. Bevorzugte Landeplätze dieser Epoche der Ballonfahrt waren Bahnlinien, am besten in Bahnhofsnähe. Neben Kartenmaterial befand sich meist auch ein Kursbuch im Gepäck. Zu dieser Zeit hatte Deutschland das dichteste Bahnnetz seiner Geschichte. Die Fahrkarten waren billig, im Vergleich zu einer Ballonfahrt allemal. Die Züge fuhren häufig, schließlich war die Eisenbahn das einzige Massentransportmittel seiner Zeit. 1)